Epilepsie - Die Bestie im Kopf

Epilepsie - Die Bestie im Kopf

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2004 bist du in mein Leben getreten. Ein junger English Setter namens Chicco, schätzungsweise ein halbes Jahr alt, ist nach einer schweren Kindheit in Spanien zunächst in der dortigen Tötungsstation und dann im deutschen Tierheim gelandet.  Leider hat er auch hier keine guten Erfahrungen mit Menschen gemacht.Wisst Ihr wie es sich anfühlt wenn man vier Jahre lang mit vielen Höhen und Tiefen daran arbeitet einer gebrochenen Hundeseele wieder Hoffnung, Mut und Vertrauen in die Menschen zu geben, wenn man dann ganz nah dran ist einen Hund vor sich zu haben der das Leben genießen und Liebe annehmen kann, dessen Blicke auf einmal verraten “jetzt bin ich angekommen“. Es fühlt sich sehr gut an. Aber manchmal schlägt dann das Schicksal zu und man kann nur noch zusehen wie alles wie Sand durch die Finger rennt wie ein neuer Kampf beginnt.

Aber diesmal der gegen den Tod…. Wie in jener Nacht, es war der  18. November 2008  um 4 Uhr nachts: Chicco machte die Türe auf und lief das Treppenhaus hinunter. Ich dachte, er muss mal wieder pinkeln gehen, das kannte ich ja schon also startete das Standartprogramm schnelles anziehen und los, als ich aber die Geräusche im Treppenhaus hörte wusste ich jedoch irgendwas stimmt nicht.

Da lag er im Treppenhaus völlig verkrampft, die Augen aufgerissen, überall war Speichel und Urin. Er hat so wild gestrampelt; ich war völlig panisch, was ist hier nur los?  Für mich war klar, Chicco hat eine Vergiftung; er stirbt. Sofort wurde in der Tierklinik angerufen und die Symptome beschrieben. Und was sagen die da?

Das hört sich nach einem epileptischen Anfall an. Ich dachte nur, wie: epileptischer Anfall - wie geht das denn? Noch nie hatte ich von sowas bei einem so jungen Hund gehört. In der Zwischenzeit kam Chicco zu sich, aber ganz verändert. Er knurrte mich an, seine Pupillen waren groß und schwarz, ich konnte mich ihm nicht nähern, also zog ich mich in meine Wohnung zurück und ließ ihm Zeit. Irgendwann kam er von alleine zu mir und war wieder der alte, hatte aber extremen Durst und wollte immer nur laufen.

In meinem Gehirn herrschte Chaos. Epilepsie - warum hatte er das? Was gab es für einen Auslöser? Kommt das wieder? Und wann geht das wieder weg?
Es gab so viele Fragen; die Antworten der Tierärzte waren jedoch sehr knapp. Es hieß, wir warten ab, ob überhaupt noch mal was kommt. Die ganze Nacht wachte ich bei Chicco und versuchte uns irgendwie zu beruhigen, ich streichelte ihn und passte auf ihn auf; in der Nacht kam nichts mehr. Super also doch nur was Einmaliges! Von wegen! Alle 14 Tage kamen Sie wieder:  erst nur ein Anfall, dann zwei, dann vier, dann immer mehr.

Die Untersuchungen starteten.  Was erwartet man von einem Tierarzt, wenn man mit einem Epilepsie- Hund zu ihm geht: Hilfe, Klarheit, Lösungen, Wege, Erklärungen! Was bekommt man: Na, wir machen mal einen Bluttest, versuchen ihm mal was Homöopathisches zu geben, mal ein Antibiotikum prophylaktisch, da er ja schon mal Borreliose hatte, man muss erkennen das auch die Tierärzte dieser Krankheit gegenüber ziemlich ratlos gegenüber stehen.  Es hat aber alles nichts genützt, die Anfälle kamen unverändert.

Der nächste Schritt war, ihm Luminal zu geben, und immer wieder Blutuntersuchungen in sämtlich erdenkliche Richtungen. Wir machten eine Fellanalyse, die nur etwas hervorbrachte, um das Gehirn zu schützen und stärken. Das waren Cerebrum Regio Motorica und Cerebrum Comp. Forte. Später kam dann das Dibro Be dazu und immer wieder Hilfsstoffe.

Aber es half nichts, die Anfälle zu lindern. Wir stellten das Futter um - erst getreidelos, dann auf Fleisch. Gegen die MRT habe ich mich immer gewehrt, und es wurde mir auch immer empfohlen, sie nicht zu machen, da die Narkoserisiken für epileptische Hunde zu groß sind. Und selbst, wenn man etwas erkennen könne, ließe sich nichts tun, warum also das Risiko eingehen?Bei einem Hund aus Spanien könnte natürlich auch gut möglich sein dass er als junger Hund starke Schläge auf den Schädel und den Rücken bekommen hat, und die Anfälle auch daher kommen könnten, weil sich der Körper verändert. Und was evtl. jahrelang nichts ausgemacht hat, kann nun seine Auswirkung haben.

Wir haben auch die Platinakupunktur versucht. Das ist im Prinzip wie die Goldakupunktur bei Arthrose, nur dass das Metall ein anderes ist und die Akupunkturpunkte andere sind. Die Chancen standen 50/50, leider hatten wir auch damit keinen Erfolg. Die Anfälle gingen weiter.

Einerseits war mir bewusst, dass es tatsächlich die Verletzungen sein könnten, aber ich konnte es nicht akzeptieren und wollte immer weiter suchen, bis wir was gefunden hätten, um Chicco zu helfen.

Es gab immer wieder Zeiten, in denen sich die Abstände veränderten. Der maximale waren 4 Wochen anfallsfrei, aber auch die Anfälle änderten sich. Eine lange Zeit hatte er immer nur zwei in Folge, dann vier, aber plötzlich wurden es immer mehr. So kam das Diazepam zum Einsatz, aber es wirkte nur bedingt. Manchmal wurde er sofort ruhig, und es war vorbei; andere Male hatte es überhaupt keine Wirkung.

Mein letzter Versuch war eine Tierärztin für innere Medizin, sie arbeitet auch mit Bioresonanz. Ihr Vorschlag war, Chicco auszutesten, um vielleicht da was erkennen zu können. Das Ergebnis gab mir Hoffnung. Chicco war ziemlich unbeschädigt; die Organe waren etwas angegriffen, aber noch reparabel, das Skelett war top. Die große Überraschung war, als sie sagte, er hat Borreliose, und das schon so lange, dass es das Nervensystem so angegriffen hat, dass es zu den Anfällen kommt. Sie hat mir die Hoffnung gegeben, dass jetzt wieder alles gut wird.

Das Dibro Be hatte ich schon vor der Behandlung ausgeschlichen, da die Nebenwirkungen zu groß waren und ich keinen Nutzen darin gesehen hatte, aber jetzt waren wir daran, das Luminal auszuschleichen.

Gestützt mit homöopathischen Alternativen setzten wir Woche für Woche eine halbe Tablette ab und entgifteten ihn gleichzeitig. Ich hatte wirklich das Gefühl, jetzt wird alles gut. Der Zeitraum zwischen den Anfällen verlängerte sich, es kam nur ein Anfall der kurz dauerte und keinerlei Nachsymptome aufwies. Auch die Anfälle, die dann noch kamen, waren nicht so stark und immer ein paar Stunden dazwischen.

Bis zum Mittwoch, den 02.06.2010. Chicco hatte schon nachts immer wieder gekrampft, den ganzen Tag über ging es so weiter. Nachmittags habe ich dann einen Termin bei der Tierärztin ausgemacht, die ihm Aufbauspritzen gab und ihn für eine halbe Stunde an das Bioresonanzgerät hängte, damit er zur Ruhe kam.

Er wirkte ruhiger, als wir heimfuhren. Dort angekommen, ließ ich ihn kurz in den Garten. Ich selber lief wie immer ums Haus, um die Balkontüre aufzumachen. Ich drehte mich noch um und sah, wie er mir nachschaute. Ich weiß nicht warum, aber ich beeilte mich, lief sofort in den Garten und rief ihn, und da sah ich ihn schon krampfend am Boden liegen.

Irgendetwas war anders als sonst. Ich hatte ein ganz blödes Gefühl, Chicco wirkte so vollkommen abwesend. Ich fing sofort an, ihm Diazepam zu geben; es wirkte nicht. Dann gab ich ihm im Zehn-Minuten-Takt Neurexan dazu. Nichts. Also kam nach und nach die Höchstdosis Diazepam: Es veränderte sich nichts. Es kam mir vor wie eine Ewigkeit die ich mit ihm im Garten saß und um ihn gekämpft habe. Es gab kurze Pausen, aber er kam nicht mehr raus. Irgendwann hab ich dann den Tierarzt angerufen, er solle bitte schnell kommen. Und was ist: Er lässt mich ewig warten zumindest fühlte es sich so an so Unendlich lange.

Als er kam, hatte er gleich Zweifel, dass Chicco zurück kommt und hat mich auf die Wesensveränderung hingewiesen, die sein könnte, wenn Chicco doch wieder aufwacht. Er hatte ihm eine starke Narkose gegeben und meinte, damit sollte er die Nacht durchschlafen. Für den Fall das er aufwacht, hat er mir noch eine Spritze mit dem Mittel gegeben, die ich je zur Hälfte spritzen sollte, falls er wieder anfängt zu krampfen.

Also saß ich bei Chicco und passte auf ihn auf. Keine zwei Stunden später waren die Beine wieder aktiv, also die erste halbe Spritze, nach zwei Stunden ging es gleich so weiter. Wieder zwei Stunden später das gleiche Spiel, aber ich hatte nichts mehr, das ich ihm geben konnte. Also rief ich den Tierarzt aus dem Bett. Diesmal war er schnell da, mit Valium. Wir machten es wieder so, dass ich im zwei Stunden Takt nachspritzte, aber jedes Mal begann Chicco gleich wieder zu strampeln.

Da war klar: Es ist die Zeit gekommen, Abschied zu nehmen.

Also informierte ich den TA. Bis er kam, hielt ich Chicco fest. Als der TA da war, sagte ich ihm, dass es in Ordnung ist, dass er jetzt gehen darf und von seinen Schmerzen befreit sein wird. Er bekam die Spitze, und sein Herz hörte sofort auf zu schlagen, es muss eine wahnsinnige Erlösung für ihn gewesen sein. Ich weiß nicht, wann Chicco mich verlassen hat, aber ich glaube, seine Seele ist schon lange vor der Spritze weg gewesen.

Ich habe mich in der Nacht sehr alleine gelassen gefühlt ich verstand nicht warum der Tierarzt mich mit dieser Situation alleine gelassen hat, aber jetzt mit ein bisschen Abstand zu dem ganzen weiß ich das ich den besten TA an meiner Seite hatte den ich mir wünschen konnte, er hat uns lange begleitet mit dieser Krankheit und er wusste was ich verliere, ich denke jeder andere hätte ihn sofort eingeschläfert, aber er nicht er hat mir die Zeit gelassen bis ich die Entscheidung getroffen habe, bis ich sagen konnte jetzt ist es soweit der Kampf ist verloren. Ich denke wenn es anders gelaufen wäre würde ich mich heute noch Fragen ob das so richtig war und mir Vorwürfe machen. Daher kann ich jedem nur wünschen so einen TA zu haben.

Die Medikamente, die wir bekamen und die Nebenwirkungen:

- Lunimal- keine besonderen Auffälligkeiten, am Anfang etwas müder; aber das war schnell wieder in Ordnung.
- Dibro Be- dadurch wurde er sehr ruhig rannte nicht mehr. An Spielen mit anderen Hunden war auch nicht mehr zu denken, extreme Gewichtszunahme innerhalb kurzer Zeit.
- Diazepam- für den Notfall, hat selten gewirkt. Beim ersten Mal stand er 2 Tage komplett neben sich.
- Spascupreel-keine Wirkung.
- Neurexan- habe ich leider zu spät bekommen. So kann ich die Wirkung nicht beurteilen. Die Tierärztin sagte allerdings, dass viele Spezialisten es heute einsetzen und gute Erfolge damit haben.

Mein Bericht ist ziemlich zusammengefasst und doch sehr lang. Was man mit einem Epileptiker- Hund alles erlebt, sind zu viele Situationen und Emotionen, um sie ausführlich zu schildern. Es sind Verhaltensänderungen des Hundes und des Lebens des Besitzers, der sich komplett umstellen muss, der seinen Hund nicht mehr alleine lassen kann und will, der miterleben muss, wie aus einem jungen aktiven Hund ein frühzeitiger Senior wird, und man sich jeden Tag fragt, wie lange geht das noch gut.

Wer das mitgemacht hat, weiß, wie wichtig es ist, die Epilepsie zu erforschen und endlich ein Mittel zu finden, das allen betroffenen helfen kann.

Und ich wünsche jedem Besitzer eines epileptischen Hundes viel Kraft, Geduld und Durchhaltevermögen. Bei Chicco hatten wir keinen Erfolg mit der Behandlung aber es war ein Extremfall, man sollte immer vor Augen halten das es viele Hunde gibt die sehr gut damit leben können sei es durch die Medikamente oder dadurch das die Ursache gefunden wurde, es lohnt sich immer nach den Gründen zu suchen und alles zu versuchen was helfen kann.

Chicco, ich liebe Dich, du bist für immer bei mir!

© Sabine Zint

Alle Bilder sind Eigentum der Verfasserin

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